Das festliche Orgelwerk, das wir gerade gehört haben, präsentiert sich wie der Prospekt unserer Orgel: klar strukturiert und farbig schillernd.
Das kommt nicht von ungefähr: Die Schauseite unserer Orgel und die Werke Bachs sind den Idealen der Barockzeit verpflichtet. Was im Prospekt durch den silbrigen Glanz der Pfeifen und das goldene Blattwerk ausgedrückt wird, findet klanglich seine Entsprechung in den vielen strahlend hohen Stimmen, die sich über einem gravitätischen Bass-Fundament erheben.
Das war allerdings nicht immer so, die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Staub, Kerzenruß, Schwankungen bei Temperatur und Luftfeuchtigkeit und zuletzt der regelmäßige Gebrauch sorgten und sorgen für Verschleißerscheinungen.
1771 bittet ein Vikar Cronenberg den Magistrat von EU um Ausbesserung des Orgelwerks. Er schreibt: „Bei der letzten Herstellung des Bodenbelags der Kirche ist die Orgel derart mit Staub angefüllt worden, dass die Tangenten (Tasten) der Klaviatur sich nach dem Niederdrücken nicht mehr von selbst aufrichten, wodurch die Musik mit einem unordentlichen Beiklang verfälscht wird.“
Man kann davon ausgehen, dass eine Orgel alle 20 bis 30 Jahre gereinigt und überholt werden musste und muss. Und so ist die Orgel einem steten Wandel unterworfen.
Ganz beachtlich finde ich, dass hier schon im Jahr 1219 eine Orgel erklungen ist. Schriftlich belegt hat dies der Organist Wilhelm Cronenberg. Er berichtet, dass beim Neubau der Orgel 1717 Pfeifen der alten Orgel eingeschmolzen wurden, auf denen das Datum 1219 eingraviert war. Es muss sich um eine gotische Schwalbennest-Orgel gehandelt haben, die hier schräg über dem Ambo gehangen haben muss. Über eine Treppe im Seitenschiff gelangte der Organist durch einen Gang zu seinem Instrument.
1717 wurde also eine neue Orgel gebaut. Es liegt die Vermutung nahe, dass Balthasar König mit dem Bau beauftragt wurde. König hatte seit 1711 eine Orgelbauwerkstatt in Bad Münstereifel und sollte sich später mit der Orgel im Kloster Steinfeld ein Denkmal setzen.
Die Orgel hier hatte ca. 10 Register auf einem Manual und noch kein selbständiges Pedal. Sie hat wohl so ausgesehen, wie die Zeichnung auf unserem Konzertprogramm zeigt. Vielleicht hat sie auch noch hier oben im Kirchenschiff gehangen. Wir wissen, dass ein Sohn Balthasar Königs das Instrument 1754 überholt und vollendet hat. Aus dieser Epoche stammen noch einige Pfeifen der Register: Gedeckt 8`und die Quinte im I. Manual und Gedecktflöte 4´ im II. Manual sowie die Lade, auf der die Pfeifen des II. Manuals stehen. Lade nennt man den Holzkasten, durch den der Orgelwind in die Pfeifen geführt wird.
1821 wird die Orgel im Zuge der Instandsetzung von einem Nachfolger der König-Dynastie auf die Empore im Turm versetzt. Der Klangcharakter blieb der barocken Ästhetik treu.
30 Jahre später hat sich der Musik-Geschmack aber dann doch grundlegend geändert. Das helle, klare, durchsichtige Spiel der Barockstimmen ist einem Spiel mit dunkel-erhabenen Farben und mannigfaltigen Schattierungen gewichen.
1852 legte Organist Georg Schilling dem Kirchenvorstand ein Gutachten vor, dass eine gründliche Ausbesserung des ganzen Orgelwerkes anmahnte. Darin kommt die gewandelte Klangästhetik zum Ausdruck: „Die schreienden Stimmen eignen sich nicht für die Begleitung des Sologesanges; tiefe Bässe sind nicht vorhanden und das so notwendige Forte und Piano lässt sich gar nicht anwenden; für die stark angewachsene Pfarrgemeinde ist das Werk viel zu schwach und zu klein, besonders für den feierlichen Gottesdienst, wie er in Euskirchen häufig gehalten wird.“
…und jetzt kommt mein Lieblingssatz: „Möge sich die Stadt nicht von Dörfern wie Cuchenheim und Lommersum beschämen lassen, denn beide haben schöne Orgeln.“
1860 arbeitete Johannes Müller aus Viersen, die Orgel nach romantischer Klangvorstellung um. Er vergrößertedas Werk um ein 2. Manual und ein selbständiges Pedalwerk. Die Orgel wuchs auf 27 Register. Von den König-Pfeifen blieben nur wenige erhalten.
Aus der romantischen Zeit stammen Register wie: Oktave 4´und 2´sowie das Cornett im I. Manual, Rohrflöte 8´ im II. sowie Subbass und Octavbass im Pedal. Im Konzert heute erinnern Werke von Rheinberger an diese Zeit.
Zwei Weltkriege und das Erdbeben von 1951 haben Kirche und Orgel stark beschädigt. Die Orgelbaufirma Ott aus Göttingen hat unser Instrument 1954 nach barocken Idealen reorganisiert und dabei wieder Register ausgetauscht. Genau wie die Firma Weimbs, die das Werk 1976 in den heutigen Zustand versetzt hat. Aus dieser Epoche stammen Register: Prinzipal 8´, Mixtur und Trompete im I. Manual, Scharff und Holzdulzian im II. sowie der Principalbass 16´und die Posaune im Pedal. Die Zwischenspiele zum Adventslied „O Heiland reiß die Himmel auf“ greifen diese Zeit auf.
An dieser Stelle möchte ich Orgelbaumeister Hubert Fasen aus Oberbettingen bei Hillesheim danken, der die Orgel jetzt wieder auf Vordermann gebracht hat.
Unsere Orgel ist also ein Kunstwerk, bei dem sich viele Generationen eingebracht haben. Und so kamen wir auf die Idee des heutigen Konzertes:
All die Kunstfertigkeiten aus vielen Jahrhunderten münden zeitübergreifend in ein gemeinsames Konzert zur Ehre Gottes.
Wir sind hier in St. Martin reich beschenkt mit Kunstwerken, mit künstlerisch wertvollen Zeugnissen gefeierten Glaubens. So besitzen wir handgeschriebene Antiphonale aus dem 16. Jh. mit gregorianischen Gesängen, die die Schola heute wieder zum Klingen bringen. Einige Seiten aus diesen Büchern hat unser Diakon für uns heraus photographiert. Er gewährt uns somit nicht nur Blicke auf die Orgel und in die Orgel. Er hat sich im Raum inspirieren lassen, lenkt unsere Sicht auf die ein oder andere Darstellung. Ja, mit seiner Kunst interpretiert er das Geschehen. So etwa nachher beim Gruß des Engels an Maria, den wir in der gregorianischen Weise hören werden. Während des Gesanges sehen wir Marianische Darstellungen aus unserer Kirche, Szenen aus dem Leben der Maria. Und damit wird die ganze Tragweite erkennbar, die in diesem Gruß des Engels enthalten ist.
Nun wünsche ich Ihnen eine erbauliche Stunde, wenn all diese Klänge und Bilder aus vergangenen Zeiten und von uns heute in ein einziges Konzert zum Lobe Gottes münden.
Text: Manfred Sistig